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Weinzeit unterwegs im Südwesten Frankreichs- Wolfgang Mörth
Anfang August 2014 bereisten Irmgard, Christine und ich auf der Suche nach neuen biologisch produzierten Weinen die Regionen Bordeaux, Bergerac, Fronton und noch ein paar weitere im Südwesten Frankreichs. Gleich vorweg: Wir haben gute Ernte eingefahren. Das behaupte ich, obwohl ich eigentlich keine Ahnung von Wein habe, bzw. nicht viel mehr darüber sagen kann als: schmeckt mir oder schmeckt mir nicht. Den Winzern, denen wir begegneten, habe ich in dieser Hinsicht nichts vorgemacht. Doch sie reagierten alle freundlich auf mein Geständnis. Für den Weingenuss sei nicht viel mehr als dieses grundsätzliche Urteilsvermögen nötig, meinten sie übereinstimmend. Eigentlich produzieren wir am liebsten für solche Leute, sagten sie, für Leute, die gern Wein trinken und die etwas wirklich Gutes von etwas weniger Gutem unterscheiden können. Andererseits habe ich im Verlauf der paar Tage die Hingabe und Akribie erlebt, mit der diese Winzer in ihren Weinbergen und Kellern arbeiten. Das hat etwas bewirkt. Obwohl ich immer noch ein blutiger Laie bin, versuche ich mittlerweile mit mehr Ehrfurcht heraus zu spüren, was diese Künstler in ihre Flaschen hinein zaubern.
Dass es zu dieser Veränderung meiner Haltung überhaupt kommen konnte, habe ich Irmgard zu verdanken, die mich zu dieser Fahrt eingeladen hat. Ohne Christines sachkundige und unermüdliche Übersetzung allerdings hätte ich die Erklärungen der Winzer gar nicht verstanden. Und dann war da noch Gérauld. Seine perfekte Organisation, geduldige Führung und nervenschonende Art, Auto zu fahren, waren Voraussetzungen dafür, dass wir uns alle entspannt dem Land, den Leuten und den Weinen zuwenden konnten. Alles zusammen ergab ein nahezu perfektes Reiseerlebnis. Das erklärt vielleicht auch den bisweilen pathetischen Ton, in dem mein Bericht verfasst ist. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach.
„Man muss doch, verdammt nochmal, schwärmen dürfen, sich mitreißen lassen dürfen von der Sonne, vom Licht, vom Anblick der staubigen Straßen und der Kräuter, die an den Straßenrändern wachsen und die man bei uns Unkräuter nennt, und dann von diesen wunderbaren Schlaglöchern, Ereignissen, die bei uns bereits ausgestorben sind und die mich an Kindertage in der steirischen Weingegend erinnern, kein Wunder also, dass ich irgendwann jede Objektivität einbüße, und dass ich mich nach den ersten zehn Schlucken, die ich verkoste, unfähig sie ordnungsgemäß auszuspucken, hier niederlassen möchte, entweder als Landstreicher oder als fahrender Schreiber oder als Adoptivsohn oder Adoptivbruder oder Adoptivonkel eines dieser Winzer. Die besten Winzer im Bordelais sind zwischen 1958 bis 1962 geboren, sagt Joël. Hätte es das Schicksal also gut mit mir gemeint und ich wäre hier zur Welt gekommen, ich wäre sicher ein hervorragender Winzer geworden.“
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das geschrieben habe. Vielleicht war es schon am ersten Abend, nachdem wir am runden Tisch auf der Terrasse des Château la Mothe du Barry von Sandrine und Joël Duffau fürstlich bewirtet worden waren. Es gab Gazpacho mit Melone, Chorizo mit Ratatouille, zu Röschen geformten Schafskäse mit hausgemachter Feigenkonfitüre und dann noch Eis mit Mandeln. Die Temperatur war ideal, der Wein köstlich und reichlich, letzteres erklärt vielleicht meine atemlose Prosa.
Der erste Tag hatte schon mit einem außergewöhnlichen Erlebnis begonnen. Nachdem uns Joël seine besten Lagen gezeigt hatte, am Abhang eines Plateaus gelegen, von dem aus wir einen schönen Blick über das Gebiet Entre deux mers hatten, packte er uns in sein Auto und führte uns aus dem Ort Moulon hinaus ans Ufer der Dordogne, wo wir auf die Mascaret warteten. Wir hatten keine rechte Vorstellung davon, was wir sehen würden, und als sie dann mit einem langsam anschwellenden Rauschen daherkam, die von Atlantikflut und Flussströmung gebildete Welle, auf der sich die Surfer an uns vorbei und dann weiter flussaufwärts bewegten, staunten wir wie die Kinder.
Entre deux mers, das heißt zwar „zwischen den Meeren“, meint aber das Dreieck zwischen den Flussläufen der Garonne und der Dordogne, bevor sich ihr Wasser zum Mündungstrichter Gironde vereinigt und in den Atlantik fließt. Rechts der Dordogne und links der Garonne liegen die großen Châteaus, aus denen die berühmtesten Cuvées der Welt stammen, das wissen nicht nur die Experten. Doch das Gebiet Entre deux mers schaffte es in den letzten Jahren, sich mit einem eigenen Qualitäts- und Selbstbewusstsein aus dem Schatten der Berühmten und Reichen zu lösen. Joël Duffau ist einer derjenigen, die dieses neue Bewusstsein verkörpern. Ihm war das Bordelais der Großen zu arrogant, erzählt er uns beim Essen, deshalb studierte er den Weinbau im Burgund. Dann arbeitete er unter anderem in Kalifornien, was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass er den Begriff „demokratischer“ Wein in den Mund nahm, womit er einen meint, der von hoher Qualität ist, aber doch leistbar für Jedermann. Und zwar ausgebaut im modernen Bordeaux-Stil, was mehr Frucht bedeutet und weniger Tannin, etwas, das mittlerweile sogar ich verstehe. Für La Cuve à mon Loup zum Beispiel gilt diese Philosophie eindeutig. Mon Loup ist übrigens der Kosename, mit dem Joël seine Frau Sandrine ruft. Klingt schön aber auch wild. Vermutlich kein Zufall, zumal beides Eigenschaften sind, die sowohl auf einen Wein als auch auf eine Frau zutreffen können.
Neben ihrem Weingut betreiben die Duffaus eine kleine Pension mit drei großen, sehr originell eingerichteten Zimmern. Auch das Frühstück überrascht neben dem, was in Frankreich selbstverständlich ist, nämlich frischen Croissants und Baguette, mit warmem Pain Perdu, ein mittlerweile exklusives Gericht, das man bei uns als „Arme Ritter“ kennt.
Nach dem Frühstück setzte ich mich noch eine Weile an einen der Tische, die zwischen einer Freiluftbar und einem kleinen Pool hinter dem Haus aufgestellt waren. Es könnte auch sein, dass ich hier, beim Anblick der über dem angrenzenden Weinberg aufgehenden Sonne meinen anfangs geschilderten sentimentalen Schub hatte. Jedenfalls hätte ich Lust gehabt, noch ein bisschen länger in Moulon zu bleiben.
Am zweiten Tag brechen wir auf in Richtung Bergerac. Ich möchte keine der anderen Regionen beleidigen, aber als wir dort ankommen, sieht alles plötzlich heller aus, wie von einer zusätzlichen Lichtquelle beleuchtet. Es scheint, als hätten wir plötzlich ein unsichtbares Tor in den Süden durchquert. Eine Erklärung finde ich in der Farbe der Steine, aus denen der Großteil der Häuser gebaut ist. Es ist ein weiches Gelb, das das Sonnenlicht auf eine mediterrane Art reflektiert. Zudem herrscht hier eine weitgehend einheitliche Vorstellung von architektonischer Ästhetik. Von den herrschaftlichen Châteaus bis zu den einfachen Häusern, alles ist in jenen Maßen und Formen gehalten, die hier offenbar Tradition haben. Dass kaum jemand von diesen baulichen Vorstellungen abweicht, mag auf einen konservativen Menschenschlag hindeuten oder auf rigide behördliche Vorschriften, ich bin geneigt, es einfach guten Geschmack zu nennen. Eine ähnliche Erfahrung werden wir übrigens noch einmal am Tag vor unserer Abreise machen, den wir in der Stadt Bordeaux verbringen. Der einheitliche rosa Ton praktisch aller Fassaden des ausgedehnten historischen Zentrums hinterlässt den Eindruck großer Ruhe und auch großen Reichtums. Sollte ich diesen Farbton in Zukunft irgendwo sehen, werde ich ihn Bordeaux-Rosa nennen und mich bei seinem Anblick entsprechend ruhig und reich fühlen.
Unser Tagesziel ist das Château Tour des Gendres von Luc de Conti. Es macht keine Ausnahme, was den erwähnten mediterranen Eindruck angeht, obwohl es für die Jahreszeit eigentlich zu kühl ist und das Gras wegen der ungewöhnlich hohen Niederschlagsmengen in den vergangenen Monaten überall in üppigem Grün steht.Die Anlage des Weinguts ist weitläufig und hell. Durch die Anordnung der verschiedenen Gebäudekomplexe entstehen Wege und Plätze, die dem Gut einen dorfähnlichen Charakter verleihen. Das Zentrum bildet eine ehemalige Kapelle, in deren mittelalterlich anmutendem Turm das Büro untergebracht ist.
Wie alle Winzer, die wir auf unserer Reise kennenlernen, begrüßt uns auch Luc de Conti freundlich aber nicht überschwänglich. Wir mögen diese Art, da sie unserem Vorarlberger Naturell durchaus entspricht. Doch wie überall dauert es auch hier nicht lange und wir werden Zeugen der Leidenschaft, mit der unsere Gastgeber über ihre ganz persönliche Art reden, aus dem, was ihnen die Natur anbietet, die bestmöglichen Weine herzustellen. An Luc de Contis Lippen hängen wir besonders aufmerksam, denn er gilt als eine der grauen Eminenzen der Biowinzer in Frankreich.
Die Contis sind vor zwei Generationen aus Italien eingewandert. "Mein Großvater musste sein Land aus persönlichen Gründen verlassen", deutet Luc vielsagend an und wir fragen nicht weiter nach. Auch Lucs Vater war bereits Weinbauer, doch erst unter der Führung des Sohnes wurde das Gut 1996 auf biodynamische Methoden umgestellt.
Auf dem langen Rundgang durch seine Weinberge lernen wir Luc als Visionär und kompromisslosen Verfechter des Bioweinbaus kennen. Er war der erste, der die Umstellung im Bergerac wagte. Und es war nicht in erster Linie eine moralische, sondern eine rationale Entscheidung, wie er uns versichert. Denn nur mit biodynamischem Anbau, davon ist Luc überzeugt, lässt sich langfristig erstklassige Qualität erzielen.
Seiner Zeit entsprechend weit voraus ist Luc Conti auch in Fragen pflanzlicher und tierischer Diversität. Für ihn hängt alles zusammen. Der Boden, die Reben, das Laub der Rebstöcke, die Kräuter und Gräser, die zwischen den Rebstöcken wachsen, die Insekten, die sich im Umfeld der Weinberge ansiedeln, wozu natürlich auch solche zählen, die für den Wein schädlich sind. Besonders auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung betreibt Luc Conti selbst akribische Forschung. Um eine spezielle Zikadellenarten abzuwehren, experimentiert er mit der Aufhellung des Laubes durch die Bestäubung mit Kalk. Er führt uns zu einem Kasten zwischen den Rebstöcken, in dem ein Sonar untergebracht ist. Es sendet Töne in verschiedenen Frequenzen aus, die eine andere Schädlingsart vertreiben sollen. Als wir an einem Feld mit Trüffelbäumen vorbei kommen, erklärt er uns, er versuche gerade eine Vogelart heimisch zu machen, die in der Lage sei, täglich 200 Stück einer bestimmte Insektenlarve zu fressen, und diese Bäume würden den Vögeln in Zukunft als Nistplätze dienen. Und hoffentlich werde ich auch Trüffeln ernten, fügt er schmunzelnd hinzu.
Natürlich muss er gerade wegen seiner radikalen Haltung immer wieder auch Rückschläge verkraften. Wir sehen es an ein paar kahl gerodeten Parzellen, wo im Vorjahr mehrere hundert jahrzehntealte Rebstöcke einer Krankheit zum Opfer gefallen sind. So etwas komme vor, sagt Luc, aber das liege in der Natur der Sache. Besonders im biologischen Weinbau lasse sich nichts einfach nach Plan regeln. Jede Parzelle verlange nach eigenen Methoden, und jedes Jahr stehe er vor neuen Herausforderungen.
Dass er mit seiner Arbeit Erfolg hat, sehen wir, wenn er uns hin und wieder etwas vom gesunden Boden zeigt, in dem die Rebstöcke verwurzelt sind. Einmal ist es poröser Kalkstein, ideal für den Sauvignon Blanc, den er vor allem für seinen berühmtesten Wein, den Cuve de Conti braucht, ein andermal zerreibt er lockeres Erdreich zwischen den Fingern, in dem besonders Malbec gut gedeiht, eine Rebsorte, die an das Klima hier perfekt angepasst ist und die, eingebaut in die Cuvées aus Carbernet und Merlot, eine gute und konstante Qualität garantiere.
Bei der anschließenden Verkostung, mit Blick auf ein paar imposanten Fässer der österreichischen Firma Stockinger, können wir uns von dieser Qualität überzeugen. Mir gelingt das nach wie vor am besten, indem ich den Wein einfach hinunter schlucke. Zum Glück zeigt Luc Verständnis für dieses Fehlverhalten und nennt es „nach innen spucken“.
Auch im Château Tour des Gendres werden wir im Anschluss an den lehrreichen Teil des Aufenthalts von Lucs Frau mit einem liebevoll zusammengestellten Menü verwöhnt. Über die Vorspeise aus Tomaten und Mozzarella raspelt uns Luc großzügig Trüffeln, gesteht uns allerdings gleich, dass die wirklich guten, aromatischen hier nur im Jänner geerntet werden. Nach Lammkottelets mit überbackenem Gemüse gibt es noch eine wunderbare Aprikosen-Tart, und zum Abschluss einen Armaniac Jahrgang 1970, stark, würzig und das Herz nachhaltig erwärmend.
Irgendwann gesellt sich auch Lucs Sohn zu uns, der, was wir interessant finden, kein Weinbauer, sondern Bierbrauer geworden ist. Bei Gérauld, der uns zwei Tage später zu sich nach Hause einladen wird, werden wir Gelegenheit haben, ein paar Flaschen davon mit sehr viel Vergnügen zu probieren.
Der dritte Tag führt uns nach Campsas in der Appellation Fronton, etwa 40 Kilometer nördlich von Toulouse gelegen. Hier besuchen wir das Château Bouissel, wo Pierre und Anne-Marie Selle auf etwa 20 Hektar, die alle schön um das Gut herum angeordnet sind, hauptsächlich die Rebsorten Negrette und Malbec anbauen. Seit 2013 ist die Produktion biozertifiziert, was eigentlich nur eine Formsache war, denn in den Weinbergen und im Keller nachhaltig und schonend zu arbeiten, war für die Selles immer schon selbstverständlich.
1978 übernahm Pierre den Bauernhof seiner Eltern und konzentrierte sich sofort ganz auf den Weinbau. 1988 absolvierte seine Frau Anne-Marie eine Ausbildung zur Winzerin und unterstützt ihn seither professionell. Sie ist auch zuständig für die Kommunikation nach außen. Eine Aufgabe, die ihr Spaß macht, wie es scheint. Wir werden zwar auch ihren Mann Pierre später treffen – er wird gerade dabei sein, mit einem kleinen Traktor Humus unter die Rebstöcke auszubringen –, doch obwohl er seine Tätigkeit sofort unterbricht und uns freundlich begrüßt, habe ich den Verdacht, ihm bereitet die praktische Arbeit mehr Vergnügen, als ein paar ausländischen Gästen die immer gleichen Fragen zu beantworten. Ich verstehe ihn gut.
Mit Anne-Marie treten wir gleich nach unserer Ankunft den mittlerweile obligatorischen Rundgang in die Weinberge an. Zuerst sehen und fühlen und im direkten Kontakt mit dem Boden und den Rebstöcken Eindrücke sammeln, dann verkosten. Eine Reihenfolge, die den Gesamteindruck verstärkt und erwiesenermaßen den Genuss steigert. Natürlich sind wir uns des Privilegs bewusst, auf diese sinnliche Art an die Qualität eines Weines herangeführt zu werden. Und ich erwähne es in diesem Zusammenhang noch einmal: wir sind uns auch bewusst, wie sehr uns die Vermittlung durch unseren Reisebegleiter Gérauld, der darüber hinaus ein profunder Kenner der Materie ist, den Zugang zu Land und Leuten erleichtert hat.
Unser Weg führt an malerisch unter freiem Himmel gelagerten Landmaschinen vorbei, dann an einem zwar hübschen aber ziemlich veralgten Teich, und schließlich einen sanft ansteigenden Weg hinauf zu den besten, von einem dichten Eichenwald umgebenen Lagen.
Wie überall in den Flusstälern des Südwestens wächst auch hier der Wein auf drei Terrassen. Für die Beschaffenheit dieses Terroirs war, wie schon im Bordelais, der Flusslauf der Garonne mit verantwortlich. Heute mäandert sie ein paar Kilometer von Campsas entfernt Richtung Norden, vor ein paar tausend Jahren hat sie hier jene Steine angeschwemmt, die heute noch eindeutig als vom Wasser abgeschliffene Kiesel erkennbar sind.
Die Negrette- und Malbec-Trauben, die sich auf diesem Boden besonders gut entwickeln, befinden sich etwa sechs (?) Wochen vor der Erntereife. Wenn alles gut geht. Heuer war es auch hier sehr feucht, aber Reben und Stöcke sind gesund, und wenn jetzt die Wärme anhält bis zum September, wird es ein sehr guter Jahrgang.
Während Anne-Marie uns all das erklärt, spielt ein Lächeln um ihren Mund. Überhaupt macht sie den Eindruck, als wäre sie sehr zufrieden mit ihrem Leben, hätte genau den richtigen Ort gefunden und würde das für sie richtige tun. Auch für die nächste Generation scheint in dieser Hinsicht alles klar zu sein, denn auch bei ihrem Sohn, den wir später kennen lernen, spüren wir die Liebe zu seinem Beruf deutlich.
Auf dem Rückweg durchqueren wir einen dichten Laubwald. Gut für Steinpilze, sagt Anne-Marie. Ich schaue mich genau um, sehe aber leider keinen. Was ich allerdings sehe, sind ein paar auffällig tiefe Gruben entlang des Weges. Bis vor ein paar Jahrzehnten, als hier noch Wein angebaut wurde, – was angesichts der heute sicher 20 Meter hoch stehenden Bäume nur schwer vorstellbar ist –, wurde in diesen Gruben die sogenannte Bodelaiser Brühe angesetzt. Ein Pflanzenschutzmittel aus Kalk, Kupfersulfatlösung und Wasser, das Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich erfunden wurde und auch heute noch vor allem gegen den falschen Mehltau angewendet wird, allerdings nicht im ökologischen Weinbau.
Bevor wir den Wald verlassen, um zum Weingut zurück zu gehen, setzen wir uns auf ein paar Baumstümpfe, um kurz auszurasten. Logisches Thema ist der wichtige Einfluss, den der Wald, den das Erlebnis der Natur generell auf unsere persönliche Entwicklung ausgeübt hat, zumal wir alle auf dem Land aufgewachsen sind. Und natürlich beginnt sofort das einstimmige Wehklagen darüber, dass diese Erfahrung für die meisten Kinder von heute überhaupt keine Bedeutung mehr habe und so weiter. Die Gnome und Feen, die uns aus dem Unterholz heraus belauschten, werden sicher zustimmend genickt haben.
Im Château Bouissel reifen die Weine in bis zu 80 Jahre alten Betontanks. Eine Bauart, die wir zwar nur hier vorfinden, die uns aber als sehr günstig für den Sauerstoffaustausch zwischen Wein und Atmosphäre beschrieben wird. Und wenn ich jetzt zum ersten Mal etwas über die Kellerarbeit sage, dann weil die Prozesse, um die es dabei geht, sehr komplex sind und nur von echten Experten beschrieben werden sollten. Selbstverständlich verbrachten wir in allen Weingütern, die wir besuchten, viel Zeit bei den Fässern. Eichenfässer einjährig oder älter, Edelstahlfässer in verschiedenen Größen und Formen, Fässer aus Kunstharz, aus Stein oder eben solche aus Beton. Und wenn uns die Winzerinnen und Winzer von den Geheimnissen der Gärung, der diffizilen Steuerung von Sauerstoff- und Zuckergehalt, der kunstvollen Abstimmung zwischen Frucht und Tannin und all den tradierten oder erlernten Methoden erzählten, wie aus Traubensaft großer Wein entsteht, dann sahen wir ihre Augen besonders intensiv leuchten.
In dieser Hinsicht unterschieden sich Anne-Marie und Pierre Selle nicht von den anderen. Und wie überall war auch hier die Verkostung der Roten und Weißen Ziel und Höhepunkt aller Erklärungen und Wanderungen. Neben den drei beschriebenen Châteaus haben wir noch andere besucht, fuhren bis an den Fuß der Pyrenäen und lernten auch dort leidenschaftlich arbeitende Weinbauern kennen. (Irgendwann schaffte ich es sogar, einigermaßen sachgemäß zu spucken.) Was ich aber vor allem lernte war, wie groß das Herz für den Beruf besonders dann sein muss, wenn man Bioweinbau betreibt. Sicher: Zuerst geht es darum, guten Wein zu erzeugen und dafür braucht es Gespür und die Beherrschung aller Fassetten des Handwerks. Doch es gibt da diesen speziellen Geist, der sich mit der Philosophie der Nachhaltigkeit zusätzlich in den Flaschen anreichert; diesen Geist schmecke ich seit unserer Reise heraus, daran besteht für mich kein Zweifel.
Schriftsteller Wolfgang Mörth